MEG-Skore
Sprachliche und kognitive Ressourcen der Mehrsprachigkeit im Englischerwerb in der Grundschule
Projektvorstellung
Das Projekt MEG-SKoRe untersuchte, wie Mehrsprachigkeit als Ressource im frühen Englischunterricht in der Grundschule nutzbar ist. Dabei wurde in einer längsschnittlichen Untersuchung betrachtet ob mehrsprachig aufwachsende Grundschülerinnen und Grundschüler mit Deutsch als Zweitsprache unterschiedliche Erwerbsbedingungen und -verläufe im frühen Englischerwerb gegenüber einsprachigen Schülerinnen und Schülern zeigen, und die Auswirkungen von Mehrsprachigkeit auf fremdsprachliche Kompetenzen im Englischunterricht analysiert. Der bisherige Forschungsstand zur Rolle der Mehrsprachigkeit im frühen Fremdsprachenlernen bietet ein sehr heterogenes Bild. So fanden Studien zu Englischkompetenzen von einsprachig deutschen und mehrsprachigen Grundschülerinnen und Grundschülern entweder keine Unterschiede in den Erwerbsverläufen oder geringere Leistungen mehrsprachiger Schülerinnen und Schüler in Lese- und Hörverständnis des Englischen (als Überblick Keßler & Paulick, 2010). Ein Grund für diese heterogenen Befunde liegt darin, dass mehrsprachige Schülerinnen und Schüler individuell unterschiedliche Voraussetzungen, soziale Hintergründe und Kompetenzen in ihren jeweiligen Sprachen mitbringen, die sich auf den Englischerwerb auswirken können. Eine Rolle spielen linguistische (Sprachenkombination, Sprachbewusstheit), kognitive (z. B. Arbeitsgedächtnis) und soziale (z. B. sozioökonomische oder familiäre) Faktoren. Deshalb berücksichtigt MEG-SKoRe diese Faktoren systematisch, um die Erfolgsfaktoren im frühen Fremdsprachenunterricht zu identifizieren.
Methodisches Vorgehen
An der längsschnittlichen Studie nahmen 200 mehrsprachig und einsprachig aufwachsende Schülerinnen und Schüler an sechs Regelgrundschulen in der Rhein-Neckar-Region teil. Sie wurden am Ende des dritten und am Ende des vierten Schuljahres getestet.
Das Projekt war in zwei Teilbereiche gegliedert. Teilprojekt 1 beschäftigte sich mit sprachlichem Transfer und der Frage, inwieweit die Erst- und/oder Zweitsprache den Erwerb des Englischen beeinflussen. Teilprojekt 2 untersuchte, ob Sprachbewusstheit und Sprachbewusstsein positiv auf Englischkompetenzen wirken. Für Teilprojekt 1 wurden sowohl allgemeine sprachliche Kompetenzen (Wortschatz und Grammatik) auf Deutsch, Englisch sowie in der jeweiligen nichtdeutschen Erstsprache, als auch spezifische grammatische Kompetenzen im Englischen (z. B. Artikel, Subjekte und Wortstellung) ermittelt. In der Auswertung wurde untersuchtet, ob es etwa für den Gebrauch von Artikeln im Englischen einen Unterschied macht, ob die Erstsprache mehrsprachiger Schülerinnen und Schüler Artikel verwendet (z. B. Italienisch) oder nicht (z. B. Türkisch, Russisch).
Für Teilprojekt 2 wurde zum einen die Sprachbewusstheit, in Aufgaben zur phonemischen Zerlegung und Neukombination von englischen Wörtern, und zum anderen das Sprachbewusstsein, d. h. die Fähigkeit, über Sprache explizit nachzudenken, untersucht. Hierzu sprachen die Schülerinnen und Schüler in einem Interview über ihre Sprachlernerfahrungen und diskutierten sprachliche Kontraste zwischen dem Englischen, dem Deutschen und ggf. ihrer Muttersprache.
Zusätzlich wurden kognitive Grundfertigkeiten (CFT 20-R) und das Arbeitsgedächtnis (Zahlenspanne), getestet. Sozioökonomische, sprachliche und sonstige Hintergrundfaktoren wurden durch einen Elternfragebogen erfasst.
Ergebnisse
Die Ergebnisse der dritten Klasse zeigen, dass mehrsprachige Schülerinnen und Schüler als Gruppe statistisch signifikant geringere Leistungen im Wortschatz und der Grammatik des Englischen sowie in der phonologischen Bewusstheit und im Arbeitsgedächtnis im Vergleich zu einsprachig deutschsprachigen Schülerinnen und Schülern erreichten. Zunächst scheinen diese Resultate Befunde vorheriger Studien zu bestätigen, die keinen Vorteil von Mehrsprachigkeit finden.
In Analysen, die den Einfluss von kognitiven, sozialen und schulischen Faktoren berücksichtigen, zeigt sich jedoch ein differenzierteres Bild. Eine Mehrebenen-Regressionsanalyse belegt, dass neben sozialen Unterschieden zwischen Schulen individuelle Faktoren der Schülerinnen und Schüler positiv auf die Englischkompetenzen wirken. Auch die Mehrsprachigkeit der Schülerinnen und Schüler hat hier einen positiven Effekt auf den Englischwortschatz (Hopp et al., 2019). In Bezug auf die Grammatikkompetenzen in der 4. Klasse erweist sich Mehrsprachigkeit ebenfalls als bedeutsamer Faktor, zumindest für einen Teil der mehrsprachigen Schülerinnen und Schüler, auch wenn weitere Faktoren z.T. stärkere Bedeutung haben (ebd.). Beim Vergleich der Entwicklung der Englischkompetenzen (Wortschatz) von Jahrgangsstufe 3 zu 4 hat Mehrsprachigkeit keinen positiven Einfluss mehr – vielmehr kehrt sich der Einfluss um, und die Deutschkompetenzen werden bedeutsam. Diese Ergebnisse legen nahe, dass mehrsprachige Ressourcen nicht konstant bleiben, ggf. weil Mehrsprachigkeit als Ressource im Fremdsprachenunterricht nicht angesprochen wird.
Die Analysen belegen weiterhin, dass eine höhere (phonologische) Sprachbewusstheit positiv auf die Grammatikkompetenzen und den Wortschatz wirkt, unabhängig davon, ob eine Schülerin bzw. ein Schüler einsprachig oder mehrsprachig ist (Hopp et al., 2017). Auch das Sprachbewusstsein der Schülerinnen und Schüler, d. h. die Antworten auf sprachanalytische Fragen im metasprachlichen Interview, hat einen positiven Einfluss auf die Englischkompetenzen.
Zwischenfazit
MEG-SKoRe belegt, dass Mehrsprachigkeit an sich weder eine generelle Ressource noch einen Nachteil im frühen schulischen Englischerwerb darstellt. Vielmehr ist Mehrsprachigkeit im Zusammenspiel mit weiteren individuellen Faktoren wie hoher Sprachbewusstheit (Einsatz metalinguistischer Fertigkeiten) und hohem Sprachbewusstsein (Fähigkeit über Sprache nachzudenken) sowie einem großen Wortschatz in der Muttersprache und kognitiven Fertigkeiten eine Ressource im Erlernen einer schulischen Fremdsprache. Daher untersucht das Folgeprojekt, MEG-SKoRe II, wie diese Ressourcen im Englischunterricht didaktisch angesprochen und gezielt gefördert werden können.
Publikationen aus dem Projekt
Hopp, H., Kieseier, T., Vogelbacher, M., & Thoma, D. (im Erscheinen). Cognitive and linguistic profiles in early foreign language vocabulary and grammar. In A. Steinlen & T. Piske (Hrsg.). Cognition and Second Language Acquisition. Tübingen: Narr Francke Attempto.
Hopp, H., Vogelbacher, M., Kieseier, T., & Thoma, D. (2019). Bilingual advantages in early foreign language learning: Effects of proficiency in the minority and the majority language. In Learning and Instruction, 61, S. 99 - 110. https://doi.org/10.1016/j.learninstruc.2019.02.001
Hopp, H. (2018). Cross-linguistic influence in the child L3 acquisition of grammar: Sentence comprehension and production among Turkish-German and German learners of English. International Journal of Bilingualism. doi: 10.1177/1367006917752523
Hopp, H., Kieseier, T., Vogelbacher, M., & Thoma, D. (2018). Einflüsse und Potenziale der Mehrsprachigkeit im Englischerwerb in der Primarstufe. In G. Mehlhorn & B. Brehmer (Hrsg.) Potenziale von Herkunftssprachen: Sprachliche und außersprachliche Einflussfaktoren. Tübingen: Stauffenburg.
Hopp, H., Kieseier, T., Vogelbacher, M., & Thoma, D. (2018). L1 effects in the early L3 acquisition of vocabulary and grammar. In A Bonnet & P. Siemund (Eds.) Foreign language education in multilingual classrooms. Amsterdam: John Benjamins.
Hopp, H., Kieseier, T., Vogelbacher, M., Köser, S., & Thoma, D. (2017). Mehrsprachigkeit und metalinguistische Bewusstheit im Englischerwerb in der Grundschule. In I. Fuchs, S. Jeuk, & W. Knapp (Hrsg.) Mehrsprachigkeit: Spracherwerb, Unterrichtsprozesse, Schulentwicklung (pp. 55-76). Stuttgart: Fillibach bei Klett.