MuM-Multi II
Sprachförderung im Mathematikunterricht unter Berücksichtigung der Mehrsprachigkeit – Wirksamkeit und Wirkungen von ein- und zweisprachigen Förderungen
Projektvorstellung
Das Folgeprojekt hat zum Ziel, alltagstaugliche Konzepte und Beiträge zur Theoriebildung einer Didaktik des mehrsprachigen Fachunterrichts zu entwickeln. Es erweitert die Zielgruppe: Neben den deutsch-türkisch-sprechenden mehrsprachigen Bildungsinländerinnen und Bildungsinländern werden nun auch bilingualer Kleingruppenunterricht mit arabisch sprechenden syrischen Neu-Zugewanderten und spanisch-deutsch sprechenden Lernenden einer deutschen Auslandsschule in Kolumbien untersucht. Damit sind drei differente, jedoch aktuelle Sprachenkonstellationen in Kleingruppenförderung – nämlich die Bedingungen schwacher Deutschkenntnisse, mit gleichzeitig starken herkunftssprachlichen Kenntnissen – betrachtet und erste, empirisch basierte Schritte hin zu einer Didaktik des mehrsprachigen Fachunterricht unternommen.
Methodisches Vorgehen
Die Ausweitung der Zielgruppen wird kombiniert mit Vertiefungen in drei Arbeitsbereichen:
A. Leistungs- und Hintergrunddaten (re-)analysieren
B. Mehrsprachige Kleingruppen-Prozesse evozieren & video-gestützt analysieren
C. Unterricht in sprachlich heterogenen Klassen entwickeln & erforschen
Arbeitsbereich A und B liefern Erklärungswissen für die Generierung von Handlungswissen im praxisbezogenen Bereich C.
Im Arbeitsbereich B wurden mehrsprachige kooperative Aufgabenbearbeitungen in Kleingruppen für Neu-Zugewanderte (n = 21), sowie für DaF Lernende (n = 7) initiiert. Die videographierten Prozesse wurden verglichen mit Video-Daten der mehrsprachigen Bildungsinländerinnen und Bildungsinländer (n = 41).
Im Bereich C wurden Ansätze zur Aktivierung mehrsprachiger Ressourcen im regulären Unterricht in mehreren Zyklen mit insgesamt 4 Klassen und 5 – 13 Stunden Unterricht entwickelt und beforscht. Dadurch konnten Konzepte iterativ erprobt, untersucht und weiterentwickelt werden.
Ergebnisse
Ein zentrales Ergebnis ist die große Heterogenität der Lernenden innerhalb und zwischen den drei Konstellationen (mehrsprachige Einheimische, DaZ-lernende Neu-Zugewanderte, DaF-lernende Auslandsschule) in Bezug auf die Sprachkenntnisse, Mathematikleistungen, Vertrautheit mit multimodalen (d. h. graphischen, tabellarischen und textlichen) Darstellungen und die Nutzung mehrsprachiger Ressourcen. Es zeigt sich, dass der Förderansatz, mehrsprachige Ressourcen von Lernenden zu nutzen, erheblich ausdifferenziert werden muss, um den unterschiedlichen mehrsprachigen Konstellationen und Repertoires gerecht zu werden.
Die Anwendung der Nexus-basierten Lehrstrategie hat sich als geeignet erwiesen: dies bezeichnet Ansätze, die sprachliche Mittel in ihrer Eigenschaft als Mittel von Denk- und Wissensprozessen aktivieren und so, d. h. vom sprachlich-mentalen Handeln her, mehrsprachige Ressourcen rezeptiv wie produktiv in eine Denkbewegung einbeziehen und diskursiv zur Geltung bringen. Dies ermöglicht produktive Nachbildungen in DaZ/DaF (d. h. z. B. die Nutzung herkunftssprachlicher Strukturen im Deutschen als mentale Werkzeuge) sowie eine Kontrastierung von Arten der Versprachlichung und setzt eigenständige Reflexionen der Sprachen und der mathematischen Konzepte bei mehrsprachigen Lernenden frei.
Insgesamt zeigt sich im Zuge der Erprobung mehrsprachiger Unterrichtskonzepte, dass die Vernetzungen, ausgehend von heterogenen Repertoires, auch in regulären Klassen möglich sind, in denen nicht alle Schülerinnen und Schüler die gleichen Sprachen teilen.
Implikationen für die Praxis
- Für alle drei untersuchten Gruppen sind mehrsprachige Lehr-Lern-Formate aktivierbar und gemäß qualitativer Analysen förderlich für die fachlichen Verstehensprozesse
- Neben Teamteaching und Peerteaching erweist sich das Co-Teaching als ein probates Lehrformat, das sowohl für Kleingruppenunterricht als auch für den Regelunterricht taugt. Die dafür geeigneten Unterrichtsphasen dürften – neben Gruppenarbeiten – vor allem in Vertiefungs- und Wiederholungsphasen aber auch vorbereitende Etappen für die Neueinführung von Unterrichtsgegenständen bestehen
- Schülerinnen und Schüler, die sich sonst in Mathematik nicht beteiligen, werden in heterogenen Mehrsprachigkeitsgruppen diskursiv aktiv und treiben auch die Plenararbeit voran, dies funktioniert auch, wenn Lehrkräfte die Sprachen nicht teilen
Publikationen aus dem Projekt
Krause, A., Wagner, J., Çelikkol, M., Redder, A. & Prediger, S. (submitted manuscript). New migrants, new challenges? – Activating multi-lingual resources for understanding mathematics: institutional and interactional requirements.
Krause, A., Wagner, J., Uribe, A., Redder, A. & Prediger, S. (in Vorb.). Mehrsprachige Lehr-Lern-Formate – linguistische und mathematikdidaktische Beiträge zur Modellierung in sprachheterogenen Regelklassen.
Prediger, S., Kuzu, T., Schüler-Meyer, A. & Wagner, J. (2019). One mind, two languages – separate conceptualisations? A case study of students’ bilingual modes for dealing with language-related conceptualisations of fractions. In Research in Mathematics Education, 21(2), S. 188 – 207. https://doi.org/10.1080/14794802.2019.1602561
Prediger, S., Uribe, Á. & Kuzu, T. (2019). Mehrsprachigkeit als Ressource im Fachunterricht – Ansätze und Hintergründe aus dem Mathematikunterricht. In Lernende Schule, 86, S. 20 – 24.
Prediger, S., & Uribe, Á. (2021, in press). Exploiting the epistemic role of multilingual resources in superdiverse mathematics classrooms: Design principles and insights into students’ learning processes. In A. Fritz, M. Herzog, & E. Gürsoy (Eds.), Diversity Dimensions in Mathematics and Language Learning: Perspectives on Culture, Education and Multilingualism. Berlin: De Gruyter/Mouton.
Prediger, S. & Redder, A. (2020). Mehrsprachigkeit im Fachunterricht am Beispiel Mathematik. In I. Gogolin, A. Hansen, S. McMonagle & D. Rauch (Hrsg.), Handbuch Mehrsprachigkeit und Bildung (S. 189-194). Wiesbaden: Springer. doi.org/10.1007/978-3-658-20285-9_27
Prediger, S. (Hrsg.) (2020). Sprachbildender Mathematikunterricht in der Sekundarstufe - ein forschungsbasiertes Praxisbuch. Berlin: Cornelsen. (Link zur Online-Preview)
Redder, A. (2019). Sprachlich-mentale Fachkonzepte als interkulturelle Herausforderung: Zum Beispiel Arabisch und Türkisch relativ zum Deutschen. In Der Deutschunterricht, 71(3), S. 86 – 94.
Redder, A., Çelikkol, M., Krause, A. & Wagner, J. (im Druck). Sprachliches Denken in Bewegung – mathematisches Lernen arabisch- deutsch-türkisch. In C. Hohenstein & A. Hornung (Hrsg.) Sprache und Sprachen in Institutionen und mehrsprachigen Gesellschaften. Münster: Waxmann.
Sprütten, F. & Prediger, S. (2019). Wie hängen die Mathematikleistungen von Neuzugewanderten mit Herkunftsregion und Schulbesuchsdauer zusammen? Ergebnisse eines sprachentlasteten Tests. In Mathematica Didactica, 42(2), S. 147 – 161.
Uribe, Á., & Prediger, S. (2021, in press). Students’ multilingual repertoires-in-use for meaning-making: Contrasting case studies in three multilingual constellations. The Journal of Mathematical Behavior. doi:10.1016/j.jmathb.2020.100820