MuM-Multi
Sprachförderung im Mathematikunterricht unter Berücksichtigung der Mehrsprachigkeit – Wirksamkeit und Wirkungen von ein- und zweisprachigen Förderungen
Projektvorstellung
Ziel des Projektes war es, die Rolle der mehrsprachigen Repertoires für das fachliche Lernen genauer zu verstehen. Oft wiederholt ist die Forderung, die mehrsprachigen Ressourcen der Lernenden konsequenter auch für das Sprach- und Fachlernen zu nutzen. Doch wie kann eine diesbezügliche Praxis konkret aussehen? Und welche Hintergründe und Gelingensbedingungen müssen für mehrsprachige Lehr-Lernprozesse berücksichtigt werden? Für das Fach Mathematik wurde demnach eine einsprachig deutsche und eine zweisprachig türkisch-deutsche Unterrichtsintervention zur Förderung des Brüche-Verständnisses von Jugendlichen auf Wirksamkeit und Wirkungen verglichen mit zwei Fragestellungen: Inwieweit verbessern die ein- und zweisprachigen Förderungen die mathematischen verstehensbezogenen Leistungen der Lernenden? Welches situative Potential entfaltet welche Form der Vernetzung der Sprachen zur Intensivierung fachlicher und sprachlicher Verstehensprozesse?
Methodisches Vorgehen
In einem Mixed-Methods-Design wurde eine Interventionsstudie mit Prä-Post-Follow-Up-Messungen kombiniert mit Videoanalysen der zweisprachigen Lehr-Lernprozesse für eine Stichprobe von 128 türkisch- deutschen Jugendlichen mit schwachen Mathematikleistungen. Verglichen wurden einsprachige und zweisprachige Förder-Interventionen zum konzeptuellen Verständnis von Brüchen. Die quantitative Untersuchung der Wirksamkeit zielte auf die abhängige Variable der Leistungszuwächse im Brüche-Verständnis. Die qualitativen Analysen der genaueren Wirkungen untersuchten die videographierten zweisprachigen Förderprozesse.
Ergebnisse
Beide Förderungen, die einsprachige und die zweisprachige, zeigen erhebliche Leistungszuwächse mit sehr hohen Effektstärken, die sich signifikant von der Kontrollgruppe unterscheiden. Widerlegt werden konnte damit die oft geäußerte Hypothese, dass zweisprachiges Lernen Ablenkung vom Fachlernen bedeuten könnte. Für Lernende mit hoher Türkisch-Kompetenz lässt sich sogar die Tendenz nachweisen, dass sie von der zweisprachigen Förderung mehr profitieren als von der einsprachigen. Zudem zeigen Analysen der individuellen Sprachennutzungsdaten und Lernzuwächse, dass der Lernzuwachs um so größer ist, je mehr die Lernenden ihre Sprachen mischen.
Die qualitativen Detailanalysen der zweisprachigen Lehr-Lernprozesse zeigen unterschiedliche Strategien von Lehrkräften und von Lernenden, mit denen sie Mehrsprachigkeit für das fachliche Lernen aktivieren. Am fruchtbarsten scheinen Lernmomente zu sein, in denen beide Sprachen denkend vernetzt oder verknüpft werden. Der oft mit Skepsis betrachtete Sprachenmix zeigt somit auch im qualitativen Tiefenblick positive Auswirkungen auf das Lernen. Unterrichtsphasen der Konsolidierung sind besonders gut für mehrsprachige Verstehensförderung geeignet.
Implikationen für die Praxis
- In jedem Alter kann damit begonnen werden, die mehrsprachigen Ressourcen für das Fachlernen zu mobilisieren.
- Je besser die Familiensprachen ausgebaut sind, desto effizienter gestalten sich die fachlichen Lernzuwächse; daher sollte so früh wie möglich mit mehrsprachigen Angeboten begonnen werden.
- Auch wenn die Familiensprache nicht fachsprachlich verfügbar ist, können die Lernenden sie nutzen, um ein breiteres und sprachlich vernetztes Verständnis der fachlichen Konzepte aufzubauen. Im Unterricht sollten daher auch bei einsprachigen Materialien zeitweilig zweisprachige Kleingruppendiskussionen angeregt werden, bevor die Wissensgegenstände ins Deutsche übertragen werden.
- Dabei geht es nicht nur um ein Hin- und Herwechseln der Sprachen, sondern um ihre konsequente Verknüpfung.
Publikationen aus dem Projekt
Redder, A., Cellikol, M., Wagner, J. & Rehbein, J. (2018). Mehrsprachiges Handeln im Mathematikunterricht (PDF). Münster: Waxmann.
Schüler-Meyer, A., Prediger, S., Kuzu, T., Wessel L. & Redder, A. (2019). Is Formal Language Proficiency in the Home Language Required to Profit from a Bilingual Teaching Intervention in Mathematics? In International Journal of Science and Mathematics Education, 17(2), S. 317 – 399. doi.org/10.1007/s10763-017-9857-8
Schüler-Meyer, A., Prediger, S., Wagner, J. & Weinert, H. (2019). Bedingungen für zweisprachige Lernangebote – Videobasierte Analysen zu Nutzung und Wirksamkeit einer Förderung zu Brüchen. In Psychologie in Erziehung und Unterricht, 66(3), S. 161 – 175. doi:10.2378/peu2019.art09d
Wagner, J., Kuzu, T., Redder, A. & Prediger, S. (2018). Vernetzung von Sprachen und Darstellungen in einer mehrsprachigen Matheförderung – linguistische und mathematikdidaktische Fallanalysen. In Fachsprache – International Journal of Specialized Communication, 40 (1 – 2), S. 2 – 23. doi: http://doi.org/10.24989/fs.v40i1 – 2.1600