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Schreibförderung in der multilingualen Orientierungsstufe
Projektvorstellung
Ausgehend von Erkenntnissen der Mehrsprachigkeits- und Schreibforschung wurde untersucht, wie sich der wiederholte Einsatz von verschiedenen „Schreibarrangements“, d. h. didaktischen Textproduktionssettings, auf die Qualität der Texte von Schülerinnen und Schülern mit unterschiedlichen Familiensprachen in der 6. Jahrgangsstufe von Gymnasien, Gesamtschulen und Oberschulen auswirkt. Die Besonderheiten der Arrangements bestanden in ihrer jeweiligen »sprachlichen Profilierung«, d. h. darin, welche sprachlichen Hilfen den Schülerinnen und Schülern angeboten wurden.
Das Interesse der Untersuchung richtete sich sowohl auf intra- als auch interlinguale Effekte. In intralingualer Hinsicht wurde untersucht, wie sich die unterschiedlichen Schreibarrangements auf die deutschen Texte der beteiligten Schülerinnen und Schüler auswirken. Die Untersuchung der Wirksamkeit eines solchen Schreibförderkonzepts ist ein Desiderat der schreibdidaktischen Forschung. Dabei wird auch der Einfluss interindividueller Lernercharakteristika, z. B. der Familiensprache(n) der Schülerinnen und Schüler, erforscht. In interlingualer Hinsicht steht im Mittelpunkt, welche Auswirkungen die deutschen Schreibarrangements auf die türkischen Texte einer Subgruppe von bilingualen Schülerinnen und Schülern mit türkischer oder deutsch-türkischer Familiensprache haben. Ein Ansatz zur Förderung einer literal weniger entwickelten Familiensprache (Türkisch) auf der Grundlage der literal stärker entwickelten Amtssprache (Deutsch) ist ein Desiderat der Mehrsprachigkeitsforschung.
Methodisches Vorgehen
Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurde eine Interventionsstudie in 15 sechsten Klassen eines Gymnasiums sowie einer Gesamtschule in NRW und einer Oberschule in Bremen durchgeführt. Sie erstreckte sich über fünf Monate und umfasste jeweils sieben Erhebungszeitpunkte im Deutschen und im Türkischen. Die Intervention fand ausschließlich im Deutschunterricht statt. Die Schülerinnen und Schüler hatten zu jedem Erhebungszeitpunkt die Aufgabe, eine Figurenbeschreibung anzufertigen. Bei den Beschreibungen handelte es sich um Überarbeitungen eines defizitären Ausgangstextes. Es wurden vier Gruppen gebildet, drei Interventionsgruppen und eine Kontrollgruppe. Die Unterschiede zwischen den Gruppen ergaben sich dadurch, ob und wie im Deutschen zusätzliche sprachliche Hilfen für die Textüberarbeitung gegeben wurden. In der Kontrollgruppe erhielten die Lernenden keine sprachlichen Hilfen. Die erste Interventionsgruppe erhielt nur Schemahilfen bzgl. der Funktion einer sprachlichen Handlung (z. B. Stelle die Figur vor oder Vergleiche die Figur mit anderen Figuren.). Die zweite Interventionsgruppe erhielt nur Ausdruckshilfen in Form von Formulierungsbeispielen (z. B. bei … handelt es sich um … , … sieht aus wie … ). Die dritte Interventionsgruppe erhielt kombinierte Ausdrucks- und Schemahilfen. Die Gruppen im Türkischen wurden sprachlich nicht profiliert und ähnelten denen der Kontrollgruppe aus dem Deutschunterricht. Insgesamt wurden 2166 deutsche Texte von 322 Schülerinnen und Schülern produziert. Von der bilingualen Subgruppe im Türkischunterricht (n = 91) gibt es zudem 607 türkische Schülertexte. Alle Texte wurden hinsichtlich ihrer Qualität ausgewertet.
Ergebnisse
Zwei der drei sprachlichen Hilfen, die Schema- sowie die kombinierten Ausdrucks- und Schemahilfen erwiesen sich als besonders wirksam. Für die Ausdruckhilfen gilt dies nicht. Es kommt also offenbar auf das Schema an: Schemahilfen allein oder in Kombination mit Ausdruckshilfen sind effektiver als Ausdruckshilfen allein oder keine sprachlichen Hilfen.
Weiterhin zeigt sich, dass die Effekte der sprachlichen Hilfen nicht vom familiären Sprachgebrauch abhängen und Probandinnen und Probanden mit einer nichtdeutschen Familiensprache keine schwächeren Texte schreiben als Probandinnen und Probanden mit nur deutscher Familiensprache. Werden nur die bilingualen Schülerinnen und Schüler untersucht, die von den Interventionen im Deutschunterricht profitiert haben (n = 64), ergibt sich ein ähnliches Bild wie im Deutschen. Hier scheint das Schemawissen, das im Deutschunterricht bereitgestellt wurde, für die funktionale Beschreibung der Figuren im Türkischunterricht zur Verfügung zu stehen. Die alleinige Bereitstellung von Ausdruckswissen im Deutschen führte erwartungsgemäß im Türkischen ebenfalls nicht zu besseren Texten.
Weiterhin bestehen signifikante interlinguale Zusammenhänge zwischen der Textqualität im Deutschen und Türkischen. Das heißt: Probandinnen und Probanden, die im Deutschen bessere Texte schreiben, produzieren im Verhältnis auch im Türkischen die besseren Texte.
Implikationen für die Praxis
Die intralingualen Effekte zeigen, dass die Textüberarbeitungskompetenz von Schülerinnen und Schülern mit sprachlichen Hilfen gesteigert werden kann. Dies setzt voraus, dass ein klarer Bezug zur Funktionalität des sprachlichen Handelns hergestellt wird. Es genügt nicht, den Schülerinnen und Schülern einfach nur Ausdrücke vorzulegen. Vielmehr muss sichergestellt werden, dass sie verstehen, was sprachlich zu tun ist, um einen funktional angemessenen Text hervorzubringen.
Durch die aufgezeigten interlingualen Effekte wird deutlich, dass eine durch die verschiedenen Unterrichtsfächer getrennte Förderung sprachlicher Kompetenzen von Bilingualen dieser Zielgruppe nicht gerecht wird. Eine verstärkte und grundsätzliche Berücksichtigung der Vernetzung beider Sprachen bei der literalen Entwicklung wäre angemessen, z. B. durch die zeitgleiche Behandlung ähnlicher Textsorten in unterschiedlichen Sprachfächern. Überdies scheint der Aufbau sprachlichen Wissens, das die Adaption von Strukturen nicht nur im Deutschen, sondern auch – trotz fehlender Intervention – im Türkischen ermöglicht, ein realistisches Ziel für den Sprachenunterricht zu sein.
Publikationen aus dem Projekt
Marx, N. & Steinhoff, T. (2017). Schreibförderung in der multilingualen Orientierungsstufe. Zur Wirksamkeit des wiederholten Einsatzes unterschiedlich profilierter Revisionsarrangements auf die Textproduktion von Schülerinnen und Schülern der 6. Jahrgangsstufe in Oberschulen, Gesamtschulen und Gymnasien in den Erstsprachen Deutsch und Türkisch und in der Zweitsprache Deutsch. Abschlussbericht für das BMBF.
Rüssmann, L., Steinhoff, T., Marx, N., & Wenk, A. K. (2016). Schreibförderung durch Sprachförderung? Zur Wirksamkeit sprachlich profilierter Schreibarrangements in der mehrsprachigen Sekundarstufe I unterschiedlicher Schulformen (PDF). In Didaktik Deutsch 40, S. 41-59.
Wenk, A. K., Marx, N., Rüssmann, L. & Steinhoff, T. (2016). Förderung bilingualer Schreibfähigkeiten am Beispiel Deutsch - Türkisch (PDF). In Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 27, S. 2.
Rüßmann, L. (2018). Schreibförderung durch Sprachförderung. Eine Interventionsstudie zur Wirksamkeit sprachlich profilierter Schreibarrangements in der mehrsprachigen Sekundarstufe I. Dissertation. Münster: Waxmann.
Wenk, A. K. (2017). Bilinguale Schreibförderung. Eine Interventionsstudie zur Wirksamkeit sprachlich unterschiedlich profilierter Schreibarrangements im Deutschunterricht auf die Textqualität in der Familiensprache Türkisch bei bilingualen Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I. (Dissertationsschrift, Universität Bremen).