MIKS II
Dissemination eines Professionalisierungs- und Schulentwicklungskonzepts in Zeiten der Neuzuwanderung
Projektvorstellung
Im Projekt MIKS II wurde das in MIKS entwickelte Professionalisierungs- und Schulentwicklungskonzept zur Integration von Mehrsprachigkeit in die Schule und den Unterricht an die Situation von Grundschulen mit hohen Anteilen neu zugewanderter Kinder angepasst und durch eine Multiplikatorenschulung (Fortbildung von Fortbildnerinnen und Fortbildnern) in die Breite getragen. Das MIKS-Konzept wurde in einer Schulung an 13 Multiplikatorinnen und Multiplikatoren vermittelt, die ihrerseits wiederrum das Konzept in 17 Grundschulen in Nordrhein-Westfalen umsetzten. In den Schulen wurde entweder das ganze Kollegium oder eine Konzeptgruppe aus dem Kollegium qualifiziert.
Die Multiplikatorenschulung und die Qualifizierung in den Schulen fanden jeweils über einen Zeitraum von anderthalb Jahren statt und umfassten sowohl inhaltliche Fortbildungstage (mit austauschorientierten Vorträgen, Impulsen und Gruppenarbeitsphasen), als auch Reflexionstage, in denen Erfahrungen ausgetauscht wurden. 4
Methodisches Vorgehen
Die Untersuchung umfasste drei Ebenen:
- Schulung von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren
- Professionalisierung in den Schulen (Qualizfizierung von Kollegien oder Konzeptgruppen durch Multiplikatorinnen und Multiplikatoren)
- Schul- und Unterrichtsentwicklung
Zur wissenschaftlichen Untersuchung der Fortbildungen gehörten:
- Gruppeninterviews mit den Multiplikatorinnen und Multiplikatoren
- Teilnehmende Beobachtung der Multiplikatorenschulungen
- Fragebogenerhebungen in den Schulkollegien vor Beginn und nach Abschluss der Qualifizierung in allen Projektschulen und in Vergleichsschulen
- Interviews mit den Schulleitungen aller Projektschulen vor Beginn und nach Abschluss der Qualifizierung
An vier Fokusschulen:
- Teilnehmende Beobachtung an den Qualifizierungstagen für Kollegien oder Konzeptgruppen
- Teilnehmende Beobachtung im Unterricht.
Ergebnisse
Multiplikatorenschulung für Fortbildnerinnen und Fortbildner
Das MIKS-Konzept sieht einen partizipativen Transfer vor, d.h. die Multiplikatorinnen und Multiplikatoren unterstützen die Kollegien dabei, eigene und standortspezifische Projekte zu entwickeln und die Schulentwicklung selbst zu gestalten. Dafür benötigen die Multiplikatorinnen und Multiplikatoren bei der Umsetzung des MIKS Konzeptes Freiheiten und Spielräume. Eine Gelingensbedingung der Schulung ist daher die fortlaufende Diskussion und Reflexion sowohl der komplexen Aspekte von Mehrsprachigkeit als auch der eigenen Rolle als Fortbilderin und Fortbildner.
MIKS in Zeiten der Neuzuwanderung
In MIKS-Schulen mit vielen neu zugewanderten Kindern, die mit dem Erwerb der deutschen Sprache gerade erst begannen, fand häufig eine pragmatische Öffnung für Mehrsprachigkeit statt. Kinder wurden nach Sprachkenntnissen gruppiert, um füreinander zu übersetzen; Informationen für Eltern wurden auf Arabisch zur Verfügung gestellt, usw. Diese Maßnahmen stellten einen Anknüpfungspunkt für einen Perspektivenwechsel dar: Die Berücksichtigung der Familiensprachen ist nicht nur Mittel zum Zweck der Verständigung, sondern wertvoller Bestandteil sprachlichen Lernens.
Mehrsprachigkeitsdidaktische Ansätze im Unterricht
Aus Sicht der Lehrkräfte gebrauchen die Kinder im Anschluss an MIKS deutlich häufiger andere Sprachen als Deutsch in Gesprächen untereinander. Die Lehrkräfte geben an, die Kinder zu ermutigen, sich in ihren Familiensprachen über Unterrichtsinhalte auszutauschen. Viele Lehrkräfte haben eine neue Zusammenarbeit mit mehrsprachigen Eltern, die den Unterricht durch sprachliche Beiträge bereichern, entwickelt. Wenn Mehrsprachigkeit in den Unterricht einbezogen wird, stehen die Lehrkräfte vor der Herausforderung, dem sprachlichen Wissen der Kinder und Eltern zu vertrauen. In manchen Situationen müssen sie in der Rolle der Nicht-Wissenden agieren, Unsicherheit aushalten und mit Kontrollverlust umgehen.
Professionalisierung und Schulentwicklung im Handlungsfeld Mehrsprachigkeit
In den Kollegien haben sich die Selbstwirksamkeitserwartungen im Handlungsfeld Mehrsprachigkeit deutlich erhöht: Die Lehrkräfte geben an, sich im Anschluss an MIKS zuzutrauen, Sprachen der Kinder, die sie nicht verstehen, im Unterricht zu berücksichtigen. Sie fühlen sich deutlich weniger verunsichert, wenn die Kinder ihre Familiensprachen gebrauchen. Positive Erfahrungen mit dem Einbezug von Mehrsprachigkeit haben in den Projektschulen dazu geführt, dass Mehrsprachigkeit häufiger als Ressource und seltener als Problem wahrgenommen wird. Eine Veränderung von Denk-, Handlungs- und Wahrnehmungsschemata führte auf der Ebene einzelner Schulen zur Entwicklung einer mehrsprachigkeitsfreundlichen Schulkultur. Innerhalb der strukturellen Rahmenbedingungen stößt diese Entwicklung jedoch an Grenzen. Die Lehrkräfte handeln in dem Wissen, dass der Schulerfolg, den sie den Kindern ermöglichen wollen, von den in deutscher Sprache erbrachten Leistungen abhängt.
Implikationen für die Praxis
Schul- und Unterrichtsentwicklung im Handlungsfeld Mehrsprachigkeit braucht Zeit und Zusammenarbeit. Jede Schule hat die Möglichkeit, das Kollegium, die Eltern und die Schülerschaft für Mehrsprachigkeit zu sensibilisieren, eigene Schwerpunkte zu setzen und konstruktive Strategien zu entwickeln, um Mehrsprachigkeit für das Lernen und Lehren zu nutzen. Eine Grundlage für neue und gute Unterrichtserfahrungen in den Projektschulen waren:
- Mut, sich auf Neues einzulassen und mit Unsicherheit umzugehen,
- Zusammenarbeit mit Eltern,
- Interesse an und Offenheit für die sprachlichen Erfahrungen der Kinder.
Publikationen aus dem Projekt
Fürstenau, Sara (2020): Erziehungswissenschaftliche Perspektive auf Mehrsprachigkeit. In: Gogolin, I., Hansen, A., McMonagle, S. & Rauch, D. (Hrsg.) (2020): Handbuch Mehrsprachigkeit und Bildung. Wiesbaden: Springer VS, S. 77-81.
Fürstenau, S., Çelik, Y., & Plöger, S. (2020). Language comparison as an inclusive translanguagin strategy. Analysis of a multilingual teaching situation in a German primary school classroom. In J.A. Panagiotopoulou, L. Rosen & J. Strzykala (Eds.) Inclusion, Education, and Translanguagin: How to Promote Social Justice in (Teacher) Education? Wiesbaden: Springer (in press).
Fürstenau, S. (2019). Mehrsprachige Schriftkultur. Wie Grundschulklassen aus ihrem Repertoire schöpfen können. In Die Grundschulzeitschrift, Nr. 317, S. 2-7.
Fürstenau, S. (2019). Mit Sprachen hantieren. M. Dehn im Gespräch mit S. Fürstenau. In Die Grundschulzeitschrift, Nr. 315, S. 50-53.
Gilham, P. & Fürstenau, S. (2019). The relationship between teachers' language experience and their inclusion of pupils' home languages in school life. In Language and Education. https://doi.org/10.1080/09500782.2019.1668008
Lange, I. (2020). Mehrsprachigkeit als Handlungsfeld Interkultureller Schulentwicklung (MIKS). Einblicke in Erfahrungen mit dem Einbezug von migrationsbedingter Mehrsprachigkeit in Grundschulen. In Diskurs Kindheits- und Jugendforschung, Heft 1/2020, S. 103-108.
Lange, I. (2019). MIKS - ein inklusives Professionalisierungs- und Schulentwicklungskonzept im Handlungsfeld Mehrsprachigkeit. In QfI - Qualifizierung für Inklusion, 1(1). https://doi.org/10.21248/qfi.20
Ticheloven, A., Schwenke-Lam, T., & Fürstenau, S. (2020). Multilingual Teaching Practices in German Primary Classrooms: Language Comparisons. In C. Kirsch & J. Duarte (Eds.) Multilingual approaches for teaching and learning. From acknowledging to capitalising on multilingualism in European mainstream education. Abingdon: Routledge. S. 34-51.