TIMO
Textrevisionen in der multilingualen Orientierungsstufe
Projektvorstellung
Das TimO Projekt beinhaltete eine vertiefte Analyse des im Vorläuferprojekt SimO erhobenen Textkorpus (2166 deutsche und 607 türkische schriftliche Beschreibungen von insgesamt 322 Schülerinnen und Schülern der 6. Jahrgangsstufe, davon 91 im Türkischunterricht), welches nun prozessbezogen analysiert wurde.
Das erste Ziel betraf die Analyse der Textrevisionen. Gefragt wurde, welche Textrevisionen in den deutschen und türkischen Texten im Zusammenhang welcher Textprozeduren durchgeführt wurden, in welchen Relationen sie zu den Ausgangstexten und sprachlichen Hilfen standen, welche Änderungen im Zeitverlauf stattfanden und inwiefern diese Aspekte mit relevanten Personenmerkmalen zusammenhingen. Dabei war von besonderer Bedeutung, ob und inwiefern die Textrevisionen zu den einzelnen Erhebungszeitpunkten und im Zeitverlauf sprachenübergreifend in Zusammenhang standen.
Das zweite Ziel des Vorhabens war die Entwicklung eines didaktischen Modells zur sprachenübergreifenden Förderung von Textrevisionskompetenzen in der Schule. Dieses Modell sollte sich in erster Linie auf den Deutsch- und den Herkunftssprachenunterricht Türkisch beziehen, aber auch auf den Fremdsprachenunterricht übertragbar sein.
Methodisches Vorgehen
In der ersten Projektphase wurde eine Korpusanalyse mit einem eigens entwickelten Analyseinstrument durchgeführt. Gegenstand der Analyse waren die in den deutschen Schülertexten vorgenommenen „Revisionshandlungen“ und „Musterrevisionen“. Revisionshandlungen wurden als einzelsprachenübergreifende Überarbeitungstätigkeiten verstanden („Streichen“, „Übernehmen“, „Verändern“, „Erweitern“ von Stellen des Ausgangstextes) und sowohl in den deutschen als auch den türkischen Texten untersucht. Musterrevisionen wurden als einzelsprachenspezifische Veränderungen von Textprozedurenausdrücken verstanden (Verwenden eines vom Ausgangstext und/oder den sprachlichen Hilfen abweichenden Formulierungsmusters) und ausschließlich in den deutschen Texten untersucht, weil Textprozedurenausdrücke interlingual nicht vergleichbar sind.
Auf der Grundlage der Resultate wurde dann ein sprachenübergreifendes didaktisches Modell zur Förderung von Textrevisionskompetenzen im Deutsch-, Herkunfts- und Fremdsprachenunterricht in der Sekundarstufe I entwickelt und veröffentlicht.
Ergebnisse
Die Ergebnisse des Projekts bestehen insbesondere in empirisch breit dokumentierten Resultaten zu sprachenspezifischen und sprachenübergreifenden Aspekten von Textrevisionen.
Das erste wichtige Ergebnis ist, dass die Schülerinnen und Schüler sowohl im Deutschen als auch im Türkischen in Abhängigkeit von bestimmten Textprozeduren bestimmte Revisionshandlungen präferierten. Sie stimmten ihre Revisionshandlungen also auf die Textprozeduren und damit auch auf die Aufgabe ab. Diese Präferenzen erwiesen sich als weitgehend unabhängig von der Schulform und der Literalitätserfahrung.
Das zweite wichtige Ergebnis ist, dass die meisten Schülerinnen und Schüler in ihren Texten größtenteils eigenständige Musterrevisionen vornahmen. Sie emanzipierten sich also von den Ausdrücken des Ausgangstextes. Bei der Analyse der deutschen Texte zeigten sich zudem Unterschiede zwischen den Gruppen. Die Interventionsgruppen, in denen bestimmte Ausdrücke angeboten worden waren (siehe SimO > verlinken), machten von diesen Ausdrücken signifikant häufiger Gebrauch als die Gruppen, in denen keine Ausdrücke angeboten worden waren.
Das dritte wichtige Ergebnis ist, dass sich für die Revisionshandlungen der türkisch-deutsch bilingualen Schülerinnen und Schüler nicht die jeweilige Textprozedur als bester Prädiktor erwies, sondern die jeweils in der anderen Sprache vorgenommene Revisionshandlung. Die Revisionshandlungen vollzogen sich also in beiden Sprachen sehr ähnlich.
Implikationen für die Praxis
Das wichtigste Ergebnis des Projekts für die Praxis ist der Nachweis eines sehr starken Zusammenhangs zwischen den Textrevisionen im Deutschen und Türkischen: Die türkisch-deutsch bilingualen Schülerinnen und Schüler nahmen beim Schreiben in ihren Sprachen ähnliche Textrevisionen vor. Nimmt man die Ergebnisse des SimO-Projekts hinzu, kann man annehmen, dass diese Kompetenzen interlingual gefördert werden können. Diese Förderung sollte mit der Sprache beginnen, in der die Textrevisionskompetenzen früher erworben werden, d.h. in der literal stärkeren Sprache. Im Falle von bilingualen und multilingualen Schülerinnen und Schülern, die in Deutschland aufwachsen, ist dies i.d.R. das Deutsche. Eine Blaupause für eine solche Förderung ist das im Projekt entwickelte didaktische Modell.
Ein weiteres praxisrelevantes Ergebnis ist die Beobachtung, dass Schülerinnen und Schüler sowohl bei der Revision eines fremden Textes als auch bei der Inanspruchnahme sprachlicher Hilfen mehrheitlich eigenständige Formulierungen verwendeten. Das bedeutet, dass die Annahme, die Vorgabe sprachlicher Muster schränke beim Schreiben die Kreativität ein, nicht zutrifft. Im Gegenteil: Die Schülerinnen und Schüler finden allem Anschein nach rascher zu eigenen Formulierungen, wenn sie sich zuvor mit fremden Formulierungen auseinandersetzen. Dies setzt allerdings vermutlich einen funktionalen Schreibunterricht voraus, in dem die Verständigungszwecke der Formulierungen fokussiert werden.
Publikationen aus dem Projekt
Marx, N. (2019). (Wie) sind sprachenübergreifende Schreibfähigkeiten lehr- und lernbar? In ÖdaF-Mitteilungen 34 (2), S. 91-96. https://doi.org/10.14220/odaf.2018.34.2.91.
Marx, N. & Steinhoff, T. (2019). Monolinguale Schreibförderung mit bilingualem Lernpotential. In Fremdsprache Deutsch 60, S. 8-14.